Pflege ist kein Kinderspiel

· Familie in der Kirche


Thema Pflege beim Leipziger Katholikentag: Im Saal der Oper hatte der Familienbund der Katholiken (FDK) Experten aus Politik, Wissenschaft und Praxis geladen. Mit dabei: Hermann Gröhe (CDU), Bundesgesundheitsminister.

Leicht hatte er es nicht, der Bundesgesundheitsminister. Hermann Gröhe (CDU) hatte auf dem Podium zum heiß diskutierten Thema Pflege gleich eine Handvoll Experten zur Linken und Rechten sitzen, die sich noch so einiges von der Politik wünschen.

So zum Beispiel Gisela Koopmann, Vorsitzende des FDK in Oldenburg, die seit inzwischen 15 Jahren ihren Beruf und die Pflege ihres Vaters unter einen Hut bringen muss. Eindrucksvoll stellte sie dar, dass dies ohne ihr hervorragend eingespieltes familiäres Netzwerk nicht möglich sei. Mit einer einzigen Zahl stellte sie außerdem eines der großen Probleme bei der Pflege Familienangehöriger dar: 58,10 Euro. Genau so hoch, sagte Koopmann, sei ihr Rentenanspruch für die sieben Jahre, in denen sie zusätzliche Pflegeangebote in Anspruch genommen habe. Altersarmut habe deshalb „oft ein weibliches Gesicht“.

Ein beeindruckter Minister

Das schien selbst den Bundesminister zu beeindrucken. Er musste einräumen, dass sein Ministerium zwar schon einige konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht habe (beispielsweise die Stärkung der Kurzzeitpflege), aber sicher auch noch oft hinter den Erwartungen zurückbleibe. Er forderte auch die Kirche eindringlich auf, sich noch stärker mit ihren großen Sozialverbänden Caritas und Diakonie zu engagieren.

Mit Bettina Jarasch aus dem Bundesvorstand der Grünen saß eine weitere Berliner Politikern auf dem Podium. Auch sie schlug in dieselbe Kerbe wie Koopmann: Die Politik müsse für eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf kämpfen. Außerdem sei eine bessere partnerschaftliche Verteilung bei der Pflege das große Ziel ihrer Partei. Dies sei bei der Kinderbetreuung ja bereits gang und gäbe.

Leitbild der geteilten Verantwortung

Professor Thomas Klie von der Evangelischen Hochschule Freiburg, einer der Experten zum Thema Pflege, verwies zudem auf das Leitbild der geteilten Verantwortung. Auch Nachbarn und das enge Umfeld eines Pflegebedürftigen seien demnach gesellschaftlich gefordert. Aktuelle Studien zeigten nämlich, wie enorm die Belastung für pflegende Angehörige seien. Eine zentrale Kritik von Klie richtete sich an die Pflegekassen, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen seien. Eine Festlegung auf bestimmte Pflegeleistungen bringe nicht die entscheidende Entlastung für eine pflegende Familie. Es müsse vielmehr die Möglichkeit bestehen, auch einmal die Gesamtverantwortung für einen Pflegebedürftigen an einen Hilfsdienst abzugeben.

Stefan Becker, als Präsident des FDK Gastgeber der Diskussion, stellte die Leitforderungen seines Verbandes, den „Leipziger Appell zur Pflege“, vor. Besonders wichtig seien die nachhaltige finanzielle Entlastung pflegender Angehöriger, Unterstützungsangebote durch Fachkräfte für pflegende Familien und eine Reform der Finanzierung der Pflegeversicherung. Außerdem, und auch hier ging der Blick direkt zu Gesundheitsminister Gröhe, müsse es endlich richtige Wertschätzung der Pflege geben, die nicht bei einem aufmunternden Schulterklopfer bleibe.

Ein leerer Stuhl

Ein sechster Platz auf dem Podium musste leer bleiben. Auf ihm hätte Maria Müller Platz nehmen sollen. Moderator Tom Hegermann überraschte das Publikum mit seiner Erklärung, dass Frau Müller keine fiktive, sondern eine ganz reale Person sei. Die 91-jährige Leipzigerin habe ihren Ehemann bereits im Krieg verloren, mehrere Schlaganfälle hinter sich und sei nicht mehr in der Lage, sich ohne Hilfe auf den Balkon ihrer Plattenbauwohnung zu bewegen. Sie sei vom Caritas-Kreisverband wegen ihrer Freundlichkeit, positiven Ausstrahlung und großen Dankbarkeit quasi stellvertretend für alle Pflegebedürftigen der Stadt für die Runde vorgeschlagen worden. Dass sie nicht dabei sein könne, hätte aber nicht allein gesundheitliche Gründe. Die extrem knapp kalkulierte Arbeitszeit ihrer Pflegekräfte würde dies eben auch unmöglich machen. Ein kluger, wie eindrucksvoller Kommentar auf die derzeitige Pflege-Situation durch den Veranstalter.

Neben der spannenden Diskussion auf, sorgte auch das „Rahmenprogramm“ neben dem Podium für Highlights. Zwei Zwischengespräche, die Moderator Hegermann mit zwei Leipziger Vertretern aus dem Pflegebereich führte, brachten weitere drastische Beispiele, wie weitreichend die praktischen Konsequenzen für familiäre und professionelle Pflegekräfte schon heute sind. So berichtete Professor Josef Hille von der Leipziger Alzheimer Gesellschaft, wie er in Eigeninitiative ein Beratungstelefon eingerichtet habe, damit Angehörige von an Demenz Erkrankten zumindest grundlegende Informationen bekommen. Andreas Märten vom Pflegenetzwerk Leipzig wies am Beispiel einer seiner Mitarbeiterinnen darauf hin, dass auch Pflegekräfte selbst Familien hätten, in denen es wiederum auch pflegebedürftige Menschen gebe – also eine Doppelbelastung entstehe.

Dass das komplexe Thema Pflege aber nicht nur ernst diskutiert werden muss, zeigte jeweils vor, während und nach der Diskussion die Improvisationstheatergruppe „Sonntagsschüler“, die mit grandiosen Spieleinlagen das Geschehen auf dem Podium kommentierten – und auch Gesundheitsminister Gröhe doch noch ein Lächeln abtrotzen konnten. (Christoph Matiss/Münchner Kirchennachrichten)