Stellungnahme von Präsidentin Elisabeth Bußmann

· Stellungnahmen

zur aktuellen Diskussion in der Familenpolitik

(Diese Stellungnahme erschien in gekürzter Fassung am 24. Februar 2007 in der ″Rheinischen Post″)

Der Vorstoß von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, den Ausbau der Betreuung bis 2013 massiv zu forcieren, ist innerhalb der Unionsparteien zum Gegenstand einer heftigen Debatte geworden. Der Streit entzündet sich allerdings an einer denkbar ungünstigen Stelle. Denn die Notwendigkeit des Ausbaus von Betreuungsangeboten insbesondere in Westdeutschland steht außer Frage. Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) ist das im Grundsatz schon lange beschlossene Sache. Neu ist allein, dass die Ministerin den im TAG festgelegten Bedarf erheblich erhöht. Dass nun von der Leyen den Familien ein Versprechen macht, dass von den Ländern und Kommunen eingehalten werden muss, hat auch ihre Vorgängerin Renate Schmidt schon veranlasst, ebenfalls auf diesem Weg öffentlichen Druck auszuüben. Wir brauchen mehr Betreuungsangebote, die den Bedürfnissen der Familien entsprechen. Wahlfreiheit setzt auch das voraus. Wir brauchen zunächst eine bessere Betreuung der Kinder in kleineren Gruppen durch gut ausgebildete Erzieher bzw. Erzieherinnen. Denn es ist nicht egal, wo und von wem unsere Kinder betreut werden. Ausgangspunkt muss immer das Wohl des Kindes sein. Dieser Aspekt kommt bei all dem Rufen nach mehr Betreuung immer noch viel zu kurz.

Die Debatte um die richtige Richtung in der Familienpolitik innerhalb der Unionsparteien erstaunt umso mehr, da alle betonen, es ginge ihnen um die Wahlfreiheit der Eltern. Sieht man aber auf die letzten familienpolitischen Maßnahmen, die Renate Schmidt und nahtlos daran anknüpfend Ursula von der Leyen auf den Weg gebracht haben, die dann von den Regierungsfraktionen und nicht zuletzt vom Bundesrat beschlossen wurden, muss man erhebliche Zweifel haben, dass es wirklich noch um die gleiche Achtung und Förderung aller Lebensentscheidungen von Eltern geht: Den Anspruch auf Betreuung im TAG haben nur vollerwerbstätige Eltern; bei der Absetzbarkeit der Betreuungskosten gibt es eine „Zwei-Klassen Gesellschaft“, die vollerwerbstätige Eltern gegenüber den anderen Eltern klar bevorzugt; das Elterngeld ist gezielt darauf ausgerichtet, die Eltern möglichst schnell wieder in die Erwerbstätigkeit zu bringen. Begründet wird dies mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes. Ein Ausstieg länger als ein Jahr schade daher der ganzen Gesellschaft, heißt es in der Gesetzesbegründung. Dort steht weiter zu lesen, was nunmehr auch auf großen Plakaten beworben wird, dass nämlich das erste Lebensjahr für Kleinkinder von so großer Bedeutung ist. Unausgesprochen bleibt so die offenbar nicht mehr akzeptierte Entscheidung von Eltern, ihre Kinder länger als das eine Jahr selbst zuhause betreuen zu wollen. Aber auch das gibt es noch und gehört ebenfalls zur so oft zitierten sich verändernden Lebenswirklichkeit in Deutschland: Über 80% der Eltern nehmen für zwei Jahre Elternzeit, 60% für drei Jahre.

Es geht hier aber weder um Minder- noch um Mehrheiten. Es geht darum, jede Entscheidung junger Eltern gleichermaßen zu respektieren und zu unterstützen. Alle genannten familienpolitischen Maßnahmen zielen klar auf die gut ausgebildeten und gut situierten Eltern, die möglichst schnell wieder in den Arbeitsmarkt zurückkehren sollen. Richtig ist, dass das auch immer mehr Eltern wollen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine zentrale Aufgabe der Familienpolitik, der sich die Politik viel zu lange verschlossen hat. Und deswegen ist die Unterstützung dieser Familien auch richtig, da sie jahrzehntelang ausgeblendet wurden. Familienleben ist heute vielfältiger denn je. Aber deswegen darf Familienpolitik nicht ausschließlich nunmehr nur die erwerbstätige Elternschaft bevorzugen. Doch genau darauf läuft es hinaus. Immer öfter ist zu hören, dass man „Peer Groups“ fördern muss. Wer damit gemeint ist, zeigen die genannten Beispiele. Familienpolitik gibt den Takt vor und sagt, was „modern“ ist. Wer will da schon „altmodisch“ sei? So werden Leitbilder transportiert. Und jeder, der nicht mehr als die bloße Achtung aller Lebensentscheidungen einfordert sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, er wolle die Hausfrauenfamilie aus vergangenen Tagen beschwören. Dem Abbau von Stereotypen hilft eine solch unsachliche Auseinandersetzung nicht. Sie zeigt eher auf die Geringschätzung der Arbeit in der Familie. Insofern ist der Ausdruck „modern“ in der Familienpolitik falsch. Wahlfreiheit meint, dass jede Entscheidung über das Zusammenleben in einer Familie modern ist.

Das Bundesfamilienministerium hat ein sogenanntes Kompetenzteam eingerichtet, das alle familienpolitischen Maßnahmen anhand verschiedener Kriterien untersuchen soll. Die Ermöglichung von Wahlfreiheit gehört nicht dazu. Stattdessen geht es schon eher um die Steigerung von Erwerbsquoten oder die Karrierechancen von Eltern. Die Wirtschaftswissenschaft wird zur maßgeblichen Grundlage der Untersuchung. Der Schulterschluss mit der Wirtschaft ist sicherlich sinnvoll, wenn man bei der notwendigen besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit etwas erreichen will. Wenn aber Wirtschaftswissenschaftler immer öfter zu Kronzeugen der aktuellen Familienpolitik werden, verwundert es nicht, dass die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes wichtiger sind als die Bedürfnisse der Familien. Deswegen erstaunt es dann auch nicht mehr, dass der Begriff des Kindeswohls weder beim Elterngeldgesetz auftaucht noch beim Ausbau von Betreuungsplätzen eine wirklich maßgebliche Rolle spielt.

Notwendig ist eine breite gesellschaftliche Debatte um die Zukunft unserer Gesellschaft. Entscheidend ist dabei die Lebenssituation von Familien mit ihren Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen, damit Eltern selbst ihre Lebenssituation entscheiden können. Im Koalitionsvertrag ist diese Wahlfreiheit Maßstab der Familienpolitik. Der Staat kann und darf nicht das Familienleben vorschreiben.

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