KOMMENTAR | Warten auf eine rentenpolitische Großtat

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Die mediale Dauerbefassung mit dem Corona-Virus hat ein politisches Ereignis von nicht geringerer gesellschaftlicher Bedeutung auf die Plätze verwiesen. Im kollektiven Bewusstsein dieser Tage dürfte es bestenfalls eine Randnotiz gewesen sein. Die Rede ist vom Abschlussbericht der Rentenkommission der Bundesregierung. Nach zweijährigen Beratungen hatte sie am 27. März 2020 ihre Ergebnisse vorgestellt. Gemessen an der Dramatik einer inzwischen weltweit grassierenden neuartigen Seuche dürfte das öffentliche Interesse am technokratischen Bericht der Rentenkommission mehrheitlich eher auf erschöpfte Gleichgültigkeit gestoßen sein. Angesicht der gegenwärtigen Sorge um die eigene Gesundheit ist diese Haltung zwar allzu verständlich, aber dennoch fatal. Denn in einer nicht allzu fernen Zukunft könnte für viele Menschen der Herbst des Lebens mit nicht minder starken Einschränkungen verbunden sein, wie wir sie alle dieser Tage erleben: Verzicht auf Konsum, gesellschaftliches Leben, Mobilität und Urlaub. Was heute der Tribut zur Bekämpfung einer Seuche ist, könnte dereinst der ökonomische Preis künftiger Rentengenerationen sein, die zum Teil ihr Leben in Altersarmut werden führen müssen, mindestens aber mit empfindlichen finanziellen Einbußen zu rechnen haben, sollte es der aktuellen Bundesregierung nicht gelingen, das Steuer mit Kurs auf eine rentenpolitische Havarie noch einmal herumzureißen. Die Chance, das Rentensystem durch ein langfristiges Umsteuern an die veränderte Demographie anzupassen, wurde bereits vertan. In dieser Legislaturperiode bietet sich die letzte Chance, in guten Zeiten der Rentenversicherung nüchtern über notwendige Reformen zu diskutieren. Der Bericht der Rentenkommission hätte dafür die gestochen scharfe Empfehlung einer modernen Seekarte sein müssen, quasi auf GPS-Basis. Was sie abgeliefert hat, ist dagegen spärlich und diffus, einfallslos und antiquiert, mehr Sextant als GPS. Von Wagemut, Aufbruchstimmung, Innovationskraft, Nachhaltigkeit, sozialer Ausgewogenheit und Familiengerechtigkeit keine Spur. Gelinde formuliert ist dieser Bericht eine herbe Enttäuschung. Denn einen ernst zu nehmenden und konkreten Plan für die Zukunft der Rente bietet er nicht. Einmal mehr wird so die dringend nötige Antwort auf die unbequeme Zukunftsfrage „Rente“ vertagt. Dabei wäre eine rentenpolitische Großtat das dringende Gebot der Stunde, auch ein Zeichen für Hoffnung, Zuversicht, Mitmenschlichkeit und Zukunft. Doch dass die öffentliche Wahrnehmung des Kommissionsberichts eher kleinformatig ausfiel, es dürfte der Bundesregierung nicht ungelegen gewesen sein.

Ulrich Hoffmann, Präsident des Familienbundes der Katholiken